Unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Dr. med. Anett Reißhauer, Leitung Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation, Charité Berlin, stand dabei u. a. das Lipödem mit Fragestellung zur Adipositas sowie zur Adipositaschirurgie im Mittelpunkt. Schilddrüsenerkrankungen als wichtige Schnittstelle wurden ebenso beleuchtet. Darüber hinaus wurden klinische Fälle, Lymphödem bei Multimorbidität und differentialindikative Entscheidungen zur Entstauungstherapie besprochen. Nachmittags standen Vorträge zur chirurgischen und konservativen Therapie auf dem Programm. Die Live-Vorführung einer Entstauungstherapie ergänzte die Vorträge.
Dem Thema „Pandemie und Lymphödem“ widmete sich Dr. med. Anett Reißhauer, Berlin. Die Pandemie habe die Lymphologie beeinflusst und beeinträchtigt. Covid-19-bedingt hätten sich bei Patient*innen mit Lymphödemen die Lebenszufriedenheit, die Anzahl von Arztkontakten, die Inanspruchnahme von Fitnessstudio, Rehasport und ambulanter Lymphdrainage reduziert, wohingegen Arztkonsultationen bei Komplikationen, eigene sportliche Aktivitäten und die Inanspruchnahme der Videosprechstunde zugenommen hätten. Die Impfempfehlung der beiden lymphologischen Gesellschaften seien hilfreich gewesen, es sei jedoch auch zu Lymphknotenschwellung nach Impfung gekommen. Durch die notwendige Bauchlagerung in der Beatmung habe man einige ungewöhnliche Patientenfälle gesehen.
Prof. Dr. med. Dieter Blottner, Berlin, präsentierte im Journal Club Neues aus der anatomischen Forschung. Lymphversorgung des Kopfes/Gehirns. Lymphatischer Zu- und Abfluss im Gehirn ist vorhanden. Gab einen Überblick über das Glymphatische Drainagesystem und über die Historie des Lymphatischen Systems. Studie und Bilder über lymphatische Strukturen im menschlichen Gehirn. Studie über zirkadianische Kontrolle des Gehirn-Lymphflusses. Lymphatischer Fluss unterliegt auch einem Tag-Nacht-Rhythmus.
I. Schnittstelle Ödem und Adipositas
PD Dr. med. Ulf Elbelt, Berlin, beschäftigte sich mit dem Thema „Wenn die Schilddrüse aus dem Takt ist – Schnittstelle Lymphologie“. Lipödem und (sekundäres) Lymphödem seien Adipositas-assoziiert. Adipositas-asszoiiert sei ebenfalls die Hyperthyreotropinämie. Nach Gewichtsverlust durch Kalorienrestriktion oder bariatrische Chirurgie normalisiere sich die Schilddrüsenfunktion und stelle keine Indikation für Substitutionstherapie mit L-Thyroxin dar. Adipositas-assoziierte Hyperthyreotropinämie müsse von autoimmun-bedingtem subklinischen Hypothyreoidismus abgegrenzt werden mittels AK-Bestimmung und Sono. Bei massivem lokalisierten Lymphödem (MLL) scheine Hypothyreose ggf. ein pathologischer Faktor zu sein. Differentialdiagnostisch müsse das Myxödem berücksichtigt werden, was bei M. Basedow selten und bei schwerer Hypothyreose als Rarität auftrete.
Dr. med. Tobias Bertsch, Hinterzarten, referierte über „Paradigmenwechsel und Internationalen Consensus beim Lipödem-Syndrom – Konsequenzen für die Praxis“. Das Lipödem sei weder eine lymphologische noch eine Ödemerkrankung. Dennoch könnten Patient*innen mit Lipödem auch ein (davon unabhängiges), z.B. Adipositas assoziiertes, Lymphödem haben. Ein Perspektivenwechsel hin zu tatsächlichen Beschwerden und dem passenden Therapiekonzept sei notwendig. Der/die Physiotherapeut*in habe eine Schlüsselrolle in diesem Behandlungskonzept, das aus Physio/Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, Psychosoziale Therapie, Gewichtsmanagement, Selbstmanagement und Liposuktion bestehen könne.
Dr. med. Anett Reißhauer, Berlin, stellte in ihrem zweiten Vortrag ihre Lipödem-Studie vor und ging dabei auch auf die Abgrenzung Lymphödem, Lipödem und Lipohypertrophie ein. Dysproportionale Fettgewebevermehrung, Symmetrie, Neigung zu Hämatomen, Druckschmerz und Adipositas als Hauptrisikofaktor sprächen für ein Lipödem. Sie erläuterte auch die differentialdiagnostische Abgrenzung. Im Rahmen der Studie wurde u.a. untersucht, wie viel Prozent der vorgestellten Patient*innen tatsächlich ein Lipödem haben, seit wann die Beschwerden bestehen, wie man auf das Lipödem aufmerksam wurde und wann die Volumenzunahme stattfand.
„Ernährungstherapie beim Lipödem“ war das Thema des Vortrags von Dr. med. Stefan Kabisch, Berlin. Die meisten Ernährungsempfehlungen für die Adipositas stammen aus Beobachtungsstudien. Viele Zusammenhänge zwischen Ernährung, Gewichtszunahme und Stoffwechsel seien unklar. Die gesündeste Ernährung sei wahrscheinlich die mediterrane Kost. Low-carb reduziere Körpergewicht und viele Blutwerte, Langzeitdaten zu Nutzen und Risiken fehlen aber. Spezifische Lebensmittel spielen wahrscheinlich eine relativ geringe Rolle. Die Datenlage zum Lipödem sei vollkommen unzureichend. Es gäbe weder für low-fat, mediterrane Diät noch für low-carb aussagekräftige Studien. Verschiedene Ernährungstherapien sollen zunächst systematisch in randomisierten Testreihen erforscht werden.
Dr. med. Christine Schwedtke und Ebba Al Khames, Berlin, stellten verschiedene interessante Patientenfälle in der klinischen Visite vor.
Dr. med. Max Liebl, Berlin, gab ein Update zur Kompressionstherapie unter besonderer Berücksichtigung des Erysipels. Er erklärte das Erysipel, zugehörige Symptome, Ätiologie, Therapie und Rezidiv-Prophylaxe. Bei der Rezidiv-Prophylaxe gebe es nur Studien mit Langzeit-Antibiotika-Therapie. Eine australische Studie zur Kompression beim rezidivierenden Erysipel habe so eindeutig nachweisen können, dass Kompression das Rezidiv gut verhindern kann, dass die Studie abgebrochen wurde, weil man der Kontrollgruppe die Kompressionstherapie nicht mehr vorenthalten wollte. Kompression könne auch eine Rolle in der akuten Erysipelbehandlung spielen, da Kompression die Mikrozirkulation nicht negativ beeinflusse.
II. Chirurgische und konservative Therapie
In seinem Vortrag „Update zur Adipositas-Chirurgie“ brachte Dr. med. Christian Denecke, Berlin, die Teilnehmenden auf den neuesten Stand. Er führte Gründe für die Metabolische Chirurgie auf wie Diabetes-Remission oder Reduzierung des kardiovaskulären Risikos sowie von Tumorerkrankungen. Zum Thema Bariatrische Chirurgie und Lipödem/Lymphödem sei die Evidenzlage gering. Er stellte Trends und neue OP-Verfahren wie den endoskopischen Schlauchmagen vor und betonte, dass der Trend zur Individualisierung bei der OP gehe.
Über praktische Probleme und physiotherapeutische Behandlungsansätze beim Adipositas assoziierten Lip- und Lymphödem informierte Thomas Zähringer, Hinterzarten. Er schilderte anschaulich Therapie relevante Probleme wie z.B. Form der Beine, schlechter Trainingszustand oder negatives Verhältnis zu Sport, und führte die positiven Effekte von Bewegung, z.B. im Rahmen von Rehasport, auf. Eine der Haut- und Ödemsituation angepasste Intensität der MLD sei genauso notwendig wie Vorsichtsmaßnahmen bei der Bandagierung wie Desinfektion oder Hautschutz. Zähringer ging außerdem auf die Belastbarkeit der therapeutischen Einrichtungen, wie z.B. Therapieliegen oder -geräte ein.
Dr. med. Barbara Netopil, Königstein, sprach über“ Entstauungstherapie und Multimorbidität – ein Spannungsfeld?“
Aufgrund von Begleitdiagnosen in der Lymphologie seien Modifikationen der Therapie nötig, wie z.B. besonders gute Polsterung, mehrteilige Bestrumpfung oder MLD vor einer Dialyse. Sie erklärte bei welchen Ödemarten man überhaupt mit physikalischer Ödemtherapie behandeln könne und bei welchen Ödemen andere Therapien im Fokus stehen. Netopil ging auf Kontraindikationen der KPE ein, wie dekompensierte Herzinsuffizienz oder tiefe Thrombosen im Arm- und Beinbereich im akuten Stadium. Sie gab Anregungen wie man Wissenslücken bei Ärzten ausgleichen, den Mangel an erfahrenen Lymphtherapeuten kompensieren und Probleme bei schweren Fällen lösen könne.
Dr. med. Christine Schwedtke, Berlin, präsentierte zwei weitere aufwändige schwierige Fälle aus der klinischen Visite.
„Gesund und aktiv leben mit Lip-/Lymphödem – Faktoren gelingender Lebensstiländerung“ lautete der Titel des Vortrags von Susanne Helmbrecht, Herzogenaurach. Helmbrecht stellte den Lymphselbsthilfe e.V., seine Ziele und die Selbstmanagement-Programme GaLLi-Ly/GaLLy vor. Sie ging dabei u.a. auf die Themen informiertes Selbstmanagement, wertschätzende Unterstützung, motivierende Gesprächsführung, Veränderungsbereitschaft und auf das Projekt SelMa ein. Die Evaluierung der Programme habe einen großen Nutzen und Akzeptanz bei den Betroffenen ergeben.
Die Veranstaltung überzeugte durch hochkarätige Referent*innen und internationale Teilnehmende. An lymphologisch interessierte Ärzt*innen, Therapeut*innen, medizinisches Personal und Versorgungsfachkräfte des medizinischen Fachhandels gerichtet, bot die Veranstaltung über Ländergrenzen hinweg viel Raum für Gespräche und Diskussionen untereinander und für das Kennenlernen von neuen Kolleg*innen mit gleichen Interessen.
Das Symposium fand als hybride Veranstaltung mit 136 Präsenzteilnehmern und ca. 200 Online-Teilnehmern aus sieben Nationen statt – neben Deutschland aus Schweiz, China, Mauritius, Südafrika, Kenia und Nigeria.
Dr. med. Anett Reißhauer kündigte bereits das nächste Lymphologische Symposium am 22. April 2023 in Berlin an.
Mehr zu den Veranstaltungen der Akademie finden Sie unter juzo.de/akademie.
Bilder: Juzo
Julius Zorn GmbH
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